Kunst und Architektur als Eyecatcher
– Hitchcock und die art parlante
– In der Filmgeschichte lassen sich viele Vorbilder aus der Kunstgeschichte finden, die bewegten Bildern als Vorlage dienen. Filmemacher nutzen die visuelle Kraft weltberühmter Meisterwerke, nutzen ihre Popularität und lassen sich davon inspirieren. Auf diese Weise kann Kunst Botschaften transportieren. Bekannte Werke werden dabei bewusst zu Eyecatchern und Bedeutungsträgern. Gemälde berühmter Meister tauchen im Film scheinbar zufällig auf, nehmen jedoch direkten Einfluß auf die bewegten Bilder. Regisseure wie Alfred Hitchcock reizten dieses Stilmittel mit besonderer Vorliebe aus. Er orientierte sich an bekannten Kunstwerken, um seine eigenen Bilder zu komponieren. Von seinen Filmen bleiben meist diese Bilder in Erinnerung, er war ein visueller Regisseur. Besonderen Wert legte er dabei auf ihre Wirkung. Schlüsselmomente hielt er in Nahaufnahmen und langen Einstellungen fest. Godard sagte einst, man erkenne einen Hitchcock-Film als solchen wie einen Tintoretto. Schon mit der ersten Einstellung wisse das Publikum bereits, dies ist ein Werk von Hitchcock. Wie bei einem großen Maler folgen bei ihm Bilder auf Bilder. Sie lehnen sich an künstlerischen Vorbildern an. Das war seine Strategie, denn Hitchcocks Credo lautete stets: „Verwende ein Set niemals nur als Hintergrund, nutze es zu hundert Prozent“. Der Hintergrund war für ihn somit nicht unbedeutend, er war handlungsimmanent.
Architektur und Kunst begegnen uns überall in seinen Werken. Sie haben nicht nur dekorative Funktion, sie sind eine Hommage an die Ideengeber und Künstler, die er in seinen Filmmomenten verewigte. So entwarf Hitchcock für den Film PSYCHO (1960) das berühmteste Horrorhaus des Kinos. Eine düstere Villa im amerikanisch-viktoranischen Stil – das Norman-Bates-Haus. Dem Werk liegt ein direktes Vorbild zugrunde: das „House by the Railroad“ von Edward Hopper aus dem Jahr 1925, das mit seinem scharfen Schattenwurf und seiner Leere die Abgeschiedenheit des modernen Lebens offenbart – die Architektur als Synonym für die Einsamkeit in der Zivilisation. Das zeigt auch Hitchcock in seiner Horrorarchitektur, dem Wohnhaus des Mörders. Das Werk Hoppers wurde als erstes Gemälde in die ständige Sammlung des MoMa in New York aufgenommen und war ein Symbolbild der amerikanischen Gesellschaft. Hitchcock nutzte die Bedeutung und Bekanntheit des Bildmotivs für seine story. In der Einöde Amerikas finden Morde statt, ohne dass es jemand mitbekommt. Und auch das Melodram DAYS OF HEAVEN (Terrence Mallick, 1978) mit Richard Gere in der Hauptrolle zeigt neben beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und epischen Bildmotiven zu der herausragenden Musik von Enrico Morricone wie die Grenzen zwischen Malerei und Film aufgehoben werden. Ebenso wie bei Hitchcock ist hier das Haus im Stil Hoppers der Hauptschauplatz. Weniger düster, aber ebenso einsam in der Weite der Landschaft im glühenden Licht der Sonne.
Hitchcock bindet berühmte Kunstwerke unmittelbar an seine Erzählung. Norman beobachtet Marion durch einen Spion in der Wand kurz vor dem Mord. Der Spion wird verdeckt durch das berühmte Gemälde „Susanna im Bade“ von Frans Mieris dem Älteren – ein Skandalbild, das den Versuch einer Vergewaltigung zeigt. Die entblößte Susanna verweist auf die sich entkleidende Marion, die Norman durch den Spion sieht. Das Kunstwerk nimmt also die kommende Straftat vorweg, ohne dass der Zuschauer weiß, was wirklich passiert. Schon der heimliche Blick durch das Loch in der Wand kündigt das Unheil an. Wer die vielen Details und Hinweise in Hitchcocks Filmen kennt hat definitiv einen Wissensvorsprung. Der Zuschauer kann mehr lesen als auf den ersten Blick zu erkennen. Damit spielt der Regisseur. Hitchcocks Filmhäuser sind Kunstmuseen, Gemäldegalerien, Architekturkataloge, die mit der Handlung stets interagieren. Sie sind Vermittler sozialer Hierarchien, Botschafter der Protagonisten und Eyecatcher. Architekturen sind für Hitchcock kein neutraler Handlungsraum. Es sind Orte der Gefahr und Angst. Es sind keine Orte der Geborgenheit, sondern der Überraschung und Heimtücke. Besonders eindringlich demonstrierte Hitchcock das im Film DIE VÖGEL von 1962, während Melanie und Mitch im Haus gefangen den Vögeln ausgeliefert sind. Gerne bediente sich Hitchcock bei den Ideen berühmter Architekten. In NORTH BY NORTHWEST (1959) entwarf er die Vandamm-Villa im Stil eines Hauses von Frank Lloyd Wright. Mit seiner Plattform thront es über der Landschaft ähnlich dem Haus Fallingwater und erinnert gleichzeitig an das berühmte Stahl Haus von Pierre König in Hollywood von 1960. Beide wurden zu Ikonen der Moderne. Hitchcock war nicht nur ein filmischer Meister der Angst, er war ein Meister der versteckten Hinweise und Rätsel. Architekturideen und Kunstwerke verbreiteten sich mit seinen Filmen auf der ganzen Welt. Sie sind zu einer art parlante geworden.