Architektur des Ungewohnten
Die Faszination an der Malerei des Expressionismus ist ungebrochen, nicht nur bei Museumsbesuchern. Werke aus der Zeit erzielen Höchstpreise auf Auktionen. Revolutionäre, künstlerische Bewegungen wie der Blaue Reiter wirkten sich stilbildend auf andere Kunstgattungen aus. Die Malerei inspirierte auch den Film, oder war der Film nicht eigentlich Malerei? Filme wie Das Cabinet des Dr. Caligari von 1920 galten als künstlerische Experimente, an dem sich verschiedene Kunstgattungen beteiligten. Ob das Theater, das Kunsthandwerk, die Malerei, die Architektur oder der Film, sie alle übten starke Impulse aufeinander aus. Und das bis heute. Gemalte Räume wurden nicht mehr als Hintergrundkulisse oder Nebenschauplatz konzipiert. Kulissen agierten, sie waren Protagonisten des Spiels. Sie erklärten, wo Sprache fehlte. Im Stummfilm liegt die Geburtsstunde der sprechenden Architektur entgegen der Sehgewohnheit, die bis heute eine besondere Ästhetik prägt, nicht nur im Film auch in der Realität. Schiefe Ebenen, gekrümmte Linien und ungewohnte Perspektiven, gerade jene Verzerrungen sind heute aus der Architektur wie sie Frank O’Gehry oder Zaha Hadid prägten nicht mehr wegzudenken. Die Gesetzmäßigkeiten der Geraden ist aufgehoben, die Symmetrie folgt eigenen Regeln, das Raumerlebnis erfährt neue Impulse. Die Emotionsarchitektur hält mit Dr. Caligari Einzug in ein noch junges Medium, das mit dem Kino mehr Publikum erreichte als es die Malerei in jener Zeit vermochte. Der deutsche expressionistische Film erfuhr internationale Anerkennung und Architektur begann zu kommunizieren als Ausdruck des Ungewohnten. In diesem Jahr sind es nun 100 Jahre her als Dr. Caligari Premiere feierte und seine Symbolik scheint aktueller denn je. Wer sich für das Bizarre in der Architektur interessiert, für die Abkehr vom Gewohnten oder dem Spiel mit der Perspektive, der kommt an diesem Meisterwerk nicht vorbei. Ein wunderbares Filmvergnügen in ungewöhnlichen Homekinozeiten.